Vorsicht vor der Idylle

1966 erschien die Platte Väterchen Franz von Farnz Josef Degenhardt (1931-2011). Das Cover gestaltet von Horst Janssen, die Stücke mit friedlichen Namen: Spaziergang, In den guten alten Zeiten;  ein doppelbödiges Idyll, ein leises Album, das mit dem Stück Feierabend endet.

Das vertonte Gedicht ist zart und voller pointierter Härte, voller Sensibilität für Bedürfnis und Gefahren, und gleichsam eine klare Warnung. Im Nachkriegsdeutschland, in der Sehnsucht nach Feierabend verstecken und verklären sich die Gefahren.

Großartig ist, wie Degenhardt das Wort Feierabend in eben dieser Ambiavalenz nutzt: Eine Kippfigur zwischen herrischem Befehl und anheimelnder Verheissung. Degenhardt schafft es  wohlig zu umarmen und gleichzeitig gefangen zu nehmen, wütend, mahnen und ängstlich zu sein und sich doch die Schönheit nicht nehmen zu lassen: HIER

Feierabend (1966)  – Franz Josef Degenhardt
Vorstadt – Feierabend
Dick von Fliederduft
Abendglocken schwingen vogelfrei
Mauersegler schrein
Zersicheln diese Luft
Küster kichern in der Sakristei
Süßer Wind weht lind
Und lau vom Ehrenfriedhofhain
Rasenmäher metzeln
Nachbarscherze kurz und klein
Lustig flackert’s Licht
Im Schlachthaus auf. Die Kälber schrein
Kinder lachen frank
Und frei Jehovas Zeugen aus
Komm – wir gehn ins Haus
Schließ die Fensterläden
Bring mir das MG
Zapf ein Kännchen Schnaps vom Faß
Schlaf bei unsren Kindern
Küß mich, und dann geh
Halt – verbrenn noch den Familienpaß
Horch, sie singen Lieder
Gläser klingen. Siehst du was?
Öffnet man die Kragen?
Ballt man schon die Hand ums Glas?
Nein, dies Lachen kenn ich
Alles ist noch halber Spaß
Ich entsichre erst
Wenn man im Chor und Marschtakt lacht
Wann beginnt die Nacht?
Braver Baß und Orgeln
Schummrig schwimmt der Tag
Küster kneten, strampeln, keuchen schwer
Papas Lied lullt ein
Beim Ledernackenschlag
Orgeln überzeugen mich nicht mehr
Nein. Ich halt sie noch
Im Fadenkreuz, die Wohnungstür
Diesmal, Lodenröcke
Dieses Mal, da lauern wir
Wir sind diesmal Jäger
In die Falle tappt jetzt ihr
Ich blas‘ euch Halali
Kommt, ist Feierabendzeit
Und ich bin bereit
Vorstadt – Feierabend
Fliederduft verweht
Abendglocken schwingen leise aus
Mauersegler ruhn
Die Sicheln abgedreht
Küster hinken hungrig nach Haus
Kühler Nachtwind bläst
Vom Fluß herauf, und Tauben gurr’n
Frauen kichern, kaun
Die Lippen. Ihre Männer knurr’n
Greise lecken sich
Die Finger, und die Kater schnurr’n
Langsam weicht der Krampf im Bauch
Löst sich die Hand vom Stahl
Bis zum nächsten Mal
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