Feierabendweg

(Hinweis: Bettina Brach) Die Architektur entlang von Systemen, Bedürfnissen und Notwendigkeiten. 1914 entstand in Bremen Gröpelingen der Feierabendweg, eine knapp 70m lange Passage: 60m2, Garten vorn, Garten hinten, kein Verkehr.

Ein schöner Artikel dem Weser Kurier vom 17. Jan 2021 zeichnet die Entwicklung des Feierabendweges nach, sortiert ihn in die Tradition der Gartengänge ein und rahmt ihn mit stadtplanerischen Ideen bzw. der Erwähnung von Adolf Muesmann (1880 – 1956), der in Bremen Stadtbaumeister war. Der Feierabendweg ist einer der ersten Gartengänge in Deutschland.

Wie es sich am Feierabendweg in Gröpelingen leben lässt
von Jürgen Hinrichs

„Als Sigrid Ehrhardt vor 17 Jahren mit ihrem Freund in den Feierabendweg zog, war das für die Nachbarn ein Kulturschock. Wie die aussahen! Was sie anhatten! Und die Haare erst, er mit einer langen Matte, wo gibt’s denn so was. Der reinste Hippie, nur dass er eine Lederjacke trug. „Das fanden die Leute gräsig“, erinnert sich die 68-Jährige. Dann noch die laute Musik, Platten rauf und runter, auch was vom Tonband, und immer nur Beatmusik und Rock’n’Roll. Ging gar nicht, unmöglich, zumal hier Wand an Wand gewohnt wird, und es sehr hellhörig ist. Sie haben es den beiden dann schnell klar gemacht und sind verstanden worden: „Um zehn Uhr abends war Schluss mit den Rolling Stones.“ Ehrhardt lacht, als sie das erzählt, alte Zeiten, und geklappt hat es mit der Nachbarschaft ja trotzdem, sehr gut sogar, bis heute.

Der Feierabendweg in Gröpelingen ist ein Kleinod und taucht im kleinmustrigen Straßengewirr völlig unvermutet auf. Allein der Name, ein Hinweis auf die Arbeit und die Erholung danach. Alvar Aaalto, der vor 60 Jahren das gleichnamige Hochhaus in der Neuen Vahr entworfen hat, sprach damals von der Feierabendsonne. Die Bewohner dürfen sich seitdem über Balkone freuen, die nach Westen rausgehen. Lange Tage im Dienst und endlich Erholung. Feierabend! So ein Wort ist das, wie ein wohliger Seufzer.

Keller waren 1914 noch nicht ausgeschachtet

Sigrid Ehrhardt bittet zum Kaffee und zeigt ihr Haus her. 75 Quadratmeter, verteilt auf den Keller und zwei Etagen. Klitzekleiner Garten vorne, kleiner Garten hinten, und vor der Haustür ein offener Windfang. Fertig, mehr gibt es nicht. Als der Feierabendweg entstand, im Jahr 1914, hatten die Bewohner weniger Platz, weil der Keller noch nicht ausgeschachtet war. Knapp 60 Quadratmeter nicht für zwei Bewohner, so wie heute, sondern für mindestens vier. Immer war es so, dass die Häuser von ihren Eigentümern genutzt wurden. Erschwinglich sollten sie sein, etwas für die Arbeiter zum Beispiel von den Werften, die es zu der Zeit im Bremer Westen gab. Das Bauen wurde erleichtert, viele Vorschriften weggelassen oder vermindert. Auftraggeber war der Gemeinnützige Bremer Bauverein.

Das alte Tonbandgerät, eine Höllenmaschine, fanden die Nachbarn, hat Ehrhardt immer noch, „da mussten wir lange drauf sparen“. Es steht sehr prominent im Esszimmer – wenn man so überhaupt unterscheiden will, denn das Erdgeschoss ist im Grunde ein einziger Raum. Früher war das anders, da gab es mehr Abtrennung und überall Türen, weswegen der Flur, auf die sie hinausgingen, nicht ganz ohne war und es schon mal kräftig knallte. Oben liegen unter Dachschrägen das Schlafzimmer und eine weitere Kammer. Licht kommt durch Fenster, die von einer Gaube gerahmt werden. Die geschwungene Form fällt auf und schmückt das Dach. Es handelt sich um Fledermausgaube, wissen die Experten.

Siedlung steht seit 1973 unter Denkmalschutz

Die 22 Häuser sehen aus der Ferne und auf den ersten Blick alle gleich aus, im Detail gibt es mittlerweile aber Unterschiede. Mal andere Fenster als früher, mal eine Haustür, die so gar nicht passen will, oder die Ziegel auf dem Dach – im Original ist es eine Biberschwanzdeckung, noch oft vorhanden, doch es gibt Ausnahmen. Seit 1973 steht die Siedlung unter Denkmalschutz, seither kann niemand mehr machen, was er will, zumindest an Dach und Fassade nicht. Was davor an Veränderungen geschah, darf aber so bleiben, wie es ist.

Der Feierabendweg, 65 Meter lang, drei Meter schmal, ist verkehrsberuhigt, immer schon. Ein Begriff, den es vor 100 Jahren, als der motorisierte Verkehr gerade erst richtig in Fahrt kam, noch nicht gab. Richtiger wäre deshalb, von einer Passage zu sprechen, breit genug für Rettungsfahrzeuge, sonst aber für Autos gesperrt. Stadtplaner nennen den leicht gekrümmten Feierabendweg einen Gartengang, es war damals der erste seiner Art in Deutschland. Ideal für Familien, die ihre Kinder laufen lassen können. Ideal auch für die Gemeinschaft. Und günstig, die Straße musste nur provisorisch befestigt werden.“

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